Über die Erfahrungen mit dem Arbeitsamt zu schreiben, ist gleichfalls so, sich bewusst in Lebensgefahr zu begeben, wenn man eine Eisfläche mit dünnen Eis betritt.

Ich habe zu meinem Leidwesen seit der Insolvenz der TVE im Jahre 2005 desöfteren Kontakt mit den Mitarbeitern der Agentur für Arbeit gehabt. Sei es in Bottrop, sei es in Bochum. Meine Erfahrung ist durchwachsen, es gibt positive Erfahrungen, aber auch eine Menge negative Begegnungen. Manchmal halten sich die Leute für sehr wichtig, anderes Mal sieht man sie ratlos. Es ist wie im richtigen Leben, man begegnet Mitarbeitern, die behandeln dich als Bittsteller, andere aber wie einen richtigen Kunden. Das Ergebnis ist aber immer das Gleiche. Bisher habe ich vom Arbeitsamt noch keinen Job bekommen, alle meine Stellen habe ich mir selber gesucht. Teilweise waren deren Jobvorschläge ein Witz, weil ich mich genau bei diesen Stellen schon Wochen vorher beworben und Absagen erhalten habe. Wenn sie nicht mehr weiter wissen, stecken sie dich in einen Kurs, wie du richtig Bewerbungen schreiben lernst. Dieser Kurs dauert drei Tage, obwohl man das Pensum auch in zwei, wenn man sich beeilen würde, auch an einem Tag durchziehen könnte. Aber das will man nicht, denn alle Kursteilnehmer haben nämlich eines – viel Zeit. Schon allein beim Aufgalopp der „Mitschüler“ und deren Einstellung zur Zeit, eigenes Schulmaterial und Auftreten in diesem Kurs lässt die Menschen in drei Kategorien einteilen. Kategorie eins ist die Gruppe, die will. Sie gibt sich nicht mit dem jetzigen Status zufrieden, sondern sieht diesen Kurs als willkommende Auffrischung für Bewerbungen und Rechtschreibung. Sie sind pünktlich am Schulungsort, sie haben Schreibunterlagen dabei und sind vorbereitet. All das, was in der Einladung stand, haben sie mitgebracht. Alte Bewerbungsunterlagen, Bewerbungsfoto, Zeugnisse und Lebenslauf. Sie sind bereit, empfänglich für was Neuem. Sie haben sich darauf eingestellt, wie in einer richtigen Schule konzentriert zu lernen und den Anweisungen der Coaches zu folgen. Da ist es egal, ob der älteste Kursteilnehmer 63 Jahre alt ist und sich für seine letzten zwei Jahre bis zum wohlverdienten Ruhestand noch einmal auf die Schulbank setzt, um wieder up to Date zu sein. Ebenso in dieser Gruppe Kategorie Glückschwein. Der Mann hätte an diesem Tag einen Lottoschein ausfüllen sollen, denn mit Unterstützung der Coaches hatte er bereits am Nachmittag einen Termin zu einem Vorstellungsgespräches gehabt und bereits zum nächsten Ersten war er weg vom Arbeitsamt. Und alles nur, weil ihm die Coaches richtig zugehört haben. Jeder sprach Eingangs von seinen Stärken und seinen Schwächen und genau darauf wurde dann das weitere Programm aufgebaut. Für jeden individuell. Am Ende des Kurses bot man mir an, ich könnte noch fünf Monate weiter die Schule besuchen und zu meinen kaufmännischen Fähigkeiten noch Personalwesen hinzufügen. Den Antrag hierfür lehnte das Arbeitsamt ab…

Kategorie zwei in dieser Gruppe waren diejenigen, die eigentlich wollten, aber am Ende sich selber im Weg standen. Sie vergaßen ihre Bewerbungsunterlagen, hatten aber Stift und Papier dabei oder brachten die gewünschten Unterlagen mit, aber dann wieder unvollständig. Für sie waren diese zwei Tage eine Herausforderung, denn viele von Ihnen hatten verlernt, wie das mit den Pausenzeiten und den Schulstunden so ist. Unzufriedenheit machte sich in dieser Gruppe schnell breit, weil der Tag doch ach so lang war. Immerhin starteten wir um 8:00 Uhr morgens und Schulschluß war um 16:00 Uhr. Das sollte für einen Erwachsenen eigentlich keine Herausforderung sein. Es sei denn, man hatte sich dem Arbeitsmarkt zu lange entzogen, wie unsere Kameraden aus Kategorie drei, die nur kamen, weil sie mussten. Unvorbereitet, keine Unterlagen dabei und viel zu spät. An dem einen oder anderen verzweifelten die engagierten Coaches und ich denke für beide Parteien war es gut, dass der oder die mal vorgaben einen Termin zu haben und dann aus der Maßnahme verschwanden. Da die Coaches ein großes Herz hatten, ohne Strafe…

Nach dem ich von Seiten des Arbeitsamtes die Ablehnung erhielt, weiter an einer Fortbildung teilzunehmen, bekam ich Post und wurde in eine neue Gruppe gesteckt. Es war in etwa so, als würde man einen Gymnasiasten in die Sonderschule stecken. Nicht das ich hier den Eindruck erwecke, ich hätte was gegen Sonderschulen, ganz im Gegenteil, ich finde das dort von den Pädagogen eine hervorragende Arbeit geleistet und den Menschen die Chance gegeben wird, später ebenfalls eine Arbeit zu bekommen. Das sind meistens die freundlichen Wesen, die keiner sieht. Sie sind in den Küchen als Spülhilfe oder Küchenhilfe, sie machen die niedrigen Arbeiten und sind dabei stolz darauf, dass sie diese Jobs ausüben dürfen. Auch wenn es nur Schrauben sortieren oder Pappkartons falten ist, sie gehören zur produktiven Gesellschaft und spüren, dass sie gebraucht werden und wertvoll sind. Aber um meinen Vergleich mal begreiflich darzustellen, ein Überflieger mit einem hohen IQ wird gezwungen, eine Woche lang sich auf das niedrige Niveau zu begeben. Für ihn wäre es eine Bestrafung, genauso wie für den Lernbehinderten, wenn man ihn aus seinem sichereren Umfeld und dem kleinen Klassenverband herausreißen und ihn an ein Gymasium steckt. Beide tut man damit keinen Gefallen und genauso erging es mir. Aber ich bin kein Überflieger, während die anderen Kursteilnehmer bis auf zwei Ausnahmen auch nicht die hellsten Kerzen am Weihnachtsbaum waren. Von den zwanzig geladenen Teilnehmern kamen immerhin vierzehn zum vereinbarten Termin, einer wurde gleich wieder nach Hause geschickt, weil er seinen kleinen Sohn mitgebracht hatte. Ein Schweißer, der sein Leben lang für eine Firma gearbeitet hatte, bekam die betriebsbedingte Kündigung ein paar Jahre vor seiner Verrentung und da er schon ein gewisses Alter hatte, wurde der Facharbeiter mit vielen Schweißerscheinen und guter Ausbildung einfach in die Gruppe der hoffnungslosen Fälle gesteckt. Allein die Androhung, sich einmal in der Woche zum Bewerbung schreiben zu treffen sorgte bei mir schon für Unbehagen. Wie gesagt, drei Leute mit mir eingeschlossen, besassen eine abgeschlossene Berufsausbildung. Der Rest hatte den Anschluß an das Berufsleben bewusst oder schuldlos verloren. Es waren erschreckend viele junge Menschen unter diesen hoffnungslosen Fällen und was noch viel schlimmer war, sie hatten alle ein Migrationshintergrund. Da fiel mir im ersten Moment gleich der Vergleich ein, dass alle Türken Obsthändler, Autoverkäufer, Dönerbudenbesitzer oder von Beruf Sohn oder Neffe sind. Bei den Anwesenden traf dies leider nichts zu. Soviel zu den Vorurteilen. Wie bereits erwähnt, einmal in der Woche sollte es eine neue Zusammenkunft geben, in der man die Computerräume der Agentur für Arbeit nutzen konnte, um seine Bewerbung unter fachlicher Anleitung zu schreiben. Ich habe echt gestaunt, dass es noch die Menschen gibt, die weder Tablet, Dektop noch Notebook besitzen. Dafür aber das angesagteste Smartphone oder Iphone.

Der Kelch ging an mir aber vorrüber, weil ich es kurzfristig schaffte, bei einem Containerdienst anzufangen und auf Hinweis des Sachbearbeiters, konnte der Arbeitgeber dabei noch sparen, weil ein Teil meines Gehaltes vom Staat übernommen wurde. Leider hielt dieser Job nicht sehr lange, ein Freund aus alten SLV Tagen lief mir über den Weg und überzeugte mich davon, zu seiner Firma zu wechseln. Gesagt getan, nach nicht einmal 6 Wochen heuerte ich ebenfalls in Dortmund, nun allerdings bei einem Baustoffhändler mit siebzig ‚Fahrzeugen und achtzig Kraftfahrern an. Aber auch das ist Geschichte, denn ich habe zwischenzeitlich Burnout, so wie man es mir die Coaches in dem Kurs „richtig Bewerbungen schreiben“ prophezeit hatten. Mit 50 in der Dispo, da hat man was falsch gemacht…

Und die Arbeitsagentur? Sie ist froh, dass ich noch krankgeschrieben bin, denn Jobs hätte sie momentan eh keine und so falle ich wenigstens nicht in die Statistik. Nach dem ich all meine Unterlagen für das Arbeitslosengeld eingereicht hatte, kam der Hinweis, dass ich ja krankgeschrieben bin und Anspruch auf Krankengeld hätte. Erst wenn ich wieder gesund bin, sollte ich mich Arbeitssuchend melden, denn so tauche ich nicht mehr in die Statistik auf und schon war ich aus den Klauen des Arbeitsamtes, dass vorher mit Sanktionen drohte, wenn ich mich nicht ordnungsgemäß bewerben würde, wieder fallen gelassen.

Im Dezember 2005 wollte ich Umzugsbeihilfe bei der ARGE beantragen, weil ich im Februar 2006 von Bottrop nach Waldbreitbach umziehen wollte. Ich wollte wieder was eigenes haben, meine vier Wände um mich herum, keine Pendelei und auch keine Firmenwohnung, deswegen hatte ich extra einen Termin am 30.12.2005 gemacht und bin nach Bottrop gefahren. Aber da war nur ein rotznässiger Azubi am Schalter, der meinte, es wären keine Kollegen da und wenn ich einen Antrag auf Umzugsbeihilfe stellen wolle, dann hätte das Arbeitsamt mir den neuen Job vermitteln müssen. Dabei kippelte er hinter dem Schalter arrogant auf seinem Stuhl und ließ mich wie einen kleinen dummen Jungen, der beim Bonbons stehlen erwischt wurde, stehen. Es hätte nicht viel gefehlt und ich hätte das Bürschchen über den Tresen gezogen. Aber das haben dann andere für mich gemacht, denn kaum draußen vor der Tür ließ ich Vitamin B spielen und der Azubi hatte am gleichen Nachmittag noch ein vier Augen Termin beim Amtsleiter. Der Umzug wurde dann übrigens doch vom Arbeitsamt bezahlt, aber das nur am Rande…

Schlimmer ist es, wenn die Sachbarbeiter der ARGE nicht zuhören können und Leute zu einem Vorstellungsgespräch einladen, die gar nicht den Anforderungen des Unternehmers entsprachen. Geschehen 2019, als wir mit mehren Leuten zu Dachser eingeladen wurden und dort alle möglichen Leute zusammenkamen, nur nicht dass, was Dachser suchte. Einen Speditionskaufmann für Stückgut. Ich war auch vor Ort und man sagte mir freundlich, aber bestimmt, ich wäre doch aus der falschen Branche und man hätte keine Verwendung für mich. Dies richtete ich dann auch den Sachbearbeiter aus, der mich daraufhin weiter an eine Kollegin vermittelte.

Manche Vermittlungsvorschläge, auf denen man sich unbedingt bewerben sollte, waren vom Bewerbungszeitraum bereits abgelaufen, bei 95 % der Stellen, auf die ich mich in den letzten Jahren auf Empfehlung der ARGE beworben haben, warte ich heute noch auf Antwort…

Also, ich bin dann immer noch ohne Job. Übrings mit 51 bekommt man dann vor dem Kopf geknallt, man ist zu alt. Sollte jemand ein warmes, trockenes Plätzchen für einen alten, zahnlosen Kater (so komme ich mir derzeit vor) frei haben, ich bringe 32 Jahre Berufserfahrung mit und vielleicht ist einer meiner Leser schneller mit ein Jobangebot, als die ARGE Bochum.