Wenn ein geliebter Mensch geht, dann steht man vor einem Scherbenhaufen und bekommt unter Umständen diesen nicht mehr zusammengesetzt. Wir alle müssen uns mit dem Tod befassen, denn das Sterben gehört unweigerlich zum Leben dazu. Es ist wie der Tag die Nacht braucht, die Erde um die Sonne kreist und wir atmen, um zu Leben. Meine Mutter hat ihren Schlaganfall mit einigen Schäden lebend überstanden, andere hatten nicht soviel Glück oder sagen wir mal, wenn ich sehe, was von dem einstigen Leben meiner Mutter übrig geblieben ist, war der Gott bei manchen Menschen gnädig. Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass wir noch ein wenig Zeit geschenkt bekommen haben. Auch wenn sich vieles im Leben ändern wird, am Ende ist und bleibt es die Mutter. Gestern hatten wir den Krankenhausblues, den ganzen Tag nur Tränen und erst als ich am späten Nachmittag kam, einwenig Lächeln um gleich wieder in Tränen auszubrechen. Mein Herz wird bei dem Anblick von Muttertränen schwer und wenn ich könnte, würde ich alles in die Waagschale schmeißen, damit sie noch ein tolles Leben führen kann. Das dies nicht mehr so wie früher, selbstständig sein wird, ist ihr auch bewusst. Ich werde soweit es geht, sie unterstützen auch gegen den Widerstand einiger der Miteigentümer unser Hausgemeinschaft. Sie sind der Meinung, es wäre besser, die Mama in ein Altenheim abzuschieben. Ganz ehrlich, dort wo andere Menschen ein Herz haben, ist bei so manchen nur ein Stein übrig geblieben. Streiten rum, um einen Treppenlift, tun gerade so, als müssten sie ihn bezahlen. Inzwischen hat mich die Familienpflege auf eine andere technische Möglichkeit aufmerksam gemacht und die werde ich nun organisieren. Vor uns liegt noch ein Badezimmerumbau und noch viele andere Herausforderungen.
Meine Mutter kommt auf jeden Fall zurück in ihre eigenen vier Wände. Ein Pflegebett wird für sie im Wohnzimmer aufgestellt, damit sie im Mittelpunkt des Geschehen steht. Sie kann Fernsehen und sie hat Ausblick durch das Wohnzimmerfenster. Ich werde nachts bei ihr sein und tagsüber werden wir versuchen eine Tagespflege zu organisieren. Bis dahin muss allerdings der medizinische Dienst endgültig die Pflegestufe festlegen. Wir machen viele kleine Schritte, so wie sie viele kleine Fortschritte macht. Nun müssen wir dran bleiben, viele Dinge kosten Geld und müssen beantragt werden. Was letztendlich unterm Strich zählt, ist das es meiner Mutter gut geht, wenigstens den Umständen entsprechend.
Als mein Vater gestorben ist, fiel mir der Vergleich ein, dass unser Leben eigentlich nichts anderes als eine Reise ist. Eine Reise mit dem Zug. Mit unserer Geburt besteigen wir diesen Zug, wir lernen Menschen kennen, die uns ein Stück des Weges begleiten, manche verlassen uns nach einer Station, andere bleiben noch im Zug, obwohl wir längst unser Ziel erreicht haben. Ein paar von diesen Menschen lassen wir in unser Leben, andere vergessen wir schnell wieder und viele laufen nur so mit, ohne das wir sie registrieren. Ein paar nennen wir Freunde, es gibt aber auch welche, die uns nerven, ärgern und uns verrückt machen. Andere wiederum genießen die Zeit mit dir, sie tragen die Strapazen und Last der Bahnfahrt und des Lebens. Am Ziel – unser Lebensende – steigen wir aus, den letzten Weg müssen wir alleine gehen. Wie hinter einem Schleier trennen uns liebgewordene Gesichter. Ich sehe euere Tränen, aber weinet nicht um mich, denn ich habe mein Ziel erreicht, meinen endgültigen Platz gefunden. Euere Reise wird weitergehen und auch wenn ich nicht mehr mit am Tisch sitze, bin ich noch da. In jeder Erzählung, in jedem Lächeln, aber auch in jeder Träne…Denkt an mich in Freude und trauert nicht. Ich bin nur den Weg vorausgegangen und warte auf den Tag, wo wir uns Wiedersehen. An dem Tag, wo euere Reise endet. Hier… hinter dem Regenbogen .
Auch wenn es heute absurd klingen mag, aber eure Tränen werden trocknen und irgendwann kommt das Leben und das Lachen zurück. Dann werde ich euch von meinem Plätzchen zusehen und mit euch lachen. Denn, irgendwie war es doch schön das Leben. Machet jut, denn niemals geht man so ganz, irgendwas von dir, bleibt hier…Es hat seinen Platz, immer bei Dir.
Ich kann mir diesen Text auch als Traueranzeige vorstellen. Er hat was tröstendes und ich gebe ehrlich zu, ich kann diese Zeilen nicht laut vortragen, ohne dabei einen Kloß im Hals zu spüren. Wie Mozart einst sein eigenes Requiem schrieb, legen andere bereits vor ihrem Ableben ihre eigene Beerdigung fest. In Anbetracht der Tatsache, dass ich für alles eigenverantwortlich bin, keinen habe, der sich am Ende um mich kümmert, muss ich wohl selber mit diesen Gedanken spielen, meine eigene Beerdigung festzulegen. Das klingt hart und es ist auch irgendwo, aber wir wollen mal ehrlich sein, manchmal fragt Gevatter Tod nicht, um es gerade passt oder nicht. Es geht von jetzt auf gleich, ein Hirnschlag, ein Herzinfarkt, einen Moment nicht aufgepasst… Das Leben ist endlich und gleitet, wenn es gut läuft nach achtzig, wenn der Tod gnädig ist, neunzig Jahre in den unendlichen Schlaf. Aber bis dahin sollte man all die trüben Gedanken wegblasen und einfach jeden Moment genießen, so als wäre es dein letzter!