…Samstag, der 29.09.2018 und ich sitze anstatt im Mondpalast daheim vor meinem Rechner und bearbeite meine Homepage. Monatelang hatten wir uns darauf gefreut, heute ins Theater zum zerdepperten Pott frei nach Heinrich Kleist zu gehen. Dann kam der Schlaganfall dazwischen und nun mehr ist meine Mutter bereits seit 20 Tagen außer Gefecht gesetzt und eine Besserung ist nicht in Sicht.

Letztes Wochenende habe ich ihr eine Freude gemacht, bin nach Breidenbach gefahren, habe ihr Schwester abgeholt und die beiden konnten sich nach vielen Monaten endlich wieder in die Augen schauen. Nach zwei Stunden Aufenthalt haben wir uns dann wieder auf den Weg nach Hessen gemacht und bei Regen und Nebel bin ich dann Abends müde und abgespannt nach Hause zurückgekehrt. Aber die Sache war es mir wert, denn man muss alles tun, um den Patienten bei Laune zu halten, damit er schnell auf die Beine kommt.

Meinen Anteil erfülle ich. Es fehlt ein Trainingsanzug, ich fahre in den Ruhrpark und möchte einen kaufen. Doch in diesem Einkaufszentrum scheint man für Mollige nichts mehr übrig zu haben, denn weder bei Karstadt noch bei Voswinkel habe ich einen Anzug bekommen. Aber davon ab, einen Verkäufer oder Verkäuferin war ebenfalls nicht greifbar. C&A hat die Sportabteilung im Ruhrpark ganz aufgelöst, so blieb mir nix anderes übrig, als Online zu bestellen. Da reden sie immer davon, man möge den Handel vor Ort unterstützen, aber wenn ich nichts in meiner gewünschten Größe bekomme, dann bleibt mir nix anderes übrig, als den Weg über den Internethandel zu wählen. Klar habe ich Online dann einen Trainingsanzug für meine Mutter gefunden und gleich bestellt. Bis sie ihn braucht, ist er da.

Am letzten Wochenende überraschte man mich damit, dass sie meiner Mutter die Magensonde entfernt haben. Die Logopädin und auch der Arzt des Josef Krankenhauses waren sich sicher, dass meine Mutter selbstständig schlucken kann. Das war dann auch der Fall, sie ließ sich am Sonntag noch von mir füttern und am Montag zeigte sie mir, wie lernfähig sie trotz ihres Schlaganfalls ist und aß selbstständig mit der linken Hand. Ich muss dazu sagen, meine Mama ist Rechtshänderin, für sie ist schwierig, nun alles neu zu erlernen.

Am Dienstag überschlugen sich dann die Ereignisse. Erst bekam ich um 14:00 Uhr einen Anruf vom Josef Krankenhaus, die Krankenkasse Barmer hat die Reha für meine Mutter abgelehnt. Aus diesem Grund muss sie nun in ein Akutbett in einem anderen Krankenhaus verlegt werden, weil in der Uniklinik die Betten für andere Leute gebraucht werden. Da ist es wieder, das Kostenproblem und der Mensch bleibt auf der Strecke.

Nun ja, meine Mutter wurde verlegt und zwar nach Wattenscheid ins Marien Krankenhaus in die geriatrische Reha. Um 16:00 erhielt ich den nächsten Anruf, diesmal vom behandelnden Oberarzt aus dem Marien Krankenhaus, der mir mitteilte, dass meine Mutter nun bei Ihnen sei und das sie am nächsten Tag eine Magensonde operativ durch die Bauchdecke gesetzt, erhalten würde. Sie wäre damit einverstanden und sie habe auch alles begriffen – was ich anzweifele – was man ihr erzählt hat. Unter Zeugen hat sich nickend der OP zugestimmt. Ich muss dazu sagen, meine Mutter hat versäumt ihre Patientenverfügung zu unterschreiben. Darin wäre klar geregelt, ob Magensonde ja oder nein. Nun, da meine Mutter sich derzeit verbal nicht äußern kann, hat das Krankenhaus formal einen Dringlichkeitsantrag zur Benennung eines Vormundes eingereicht. Der Gutachter kam am Dienstag zur gleichen Zeit ins Krankenhaus, in der ich auch zugegen war. Mein erster Eindruck war erschütternd. Ihre Kleidung konnte nicht in einen Schrank gepackt werden, weil es auf der Überwachungsstation so etwas nicht gab. Neben ihr lag ein dementer Patient, der andauernd mit Klingel herumspielte und die Pfleger aus diesem Grund auch nicht mehr auf ihn reagierten. Meine Mutter saß in ihrer Alltagskleidung auf dem Bett wie jemand, der bestellt und nicht abgeholt wurde. Es tat mir im Herzen weh und ich hätte sie am liebsten geschnappt mitgenommen, aber es ging ja leider nicht. Auf meine Frage hin, ob sie schon was gegessen hätte, verneinte sie mit Kopfschütteln. Dann erschien der Gutachter, stellte ein paar Fragen und bekam in diesem Zusammenhang mein Gespräch mit dem Krankenpfleger mit. Ich fragte nach, wann denn meine Mutter denn endlich ihr Abendbrot erhalten würde. Antwort, sie bekommt kein Abendessen, sie erhalte Nahrung durch die Magensonde. Ich schüttelte den Kopf, denn es gab ja keine Magensonde mehr, denn die wurde ja bereits am Wochenende im Josef Krankenhaus entfernt. Er solle mir doch bitte einmal die Sonde zeigen, wo er denn die Nahrung hineingeben würde.
Dann stellte der Pfleger selber fest, dass es keine Magensonde gab. Ich erklärte ihm, dass meine Mutter bereits selbstständig gegessen habe und aus diesem Grund keine zusätzliche Vorrichtung für die Nahrungsaufnahme von Nöten sei. Die OP für den nächsten Tag könne man ja wohl vergessen. Diese Ansicht teilte nicht nur der Pfleger, sondern auch der Bereitschaftsarzt und der Gutachter winkte nur ab und meinte abfällig, immer das gleiche in den Krankenhäusern. Die linke Hand weiß nicht, was die Rechte tut. Nun ja, meine Mutter bekam was zu trinken und ich fuhr nach Hause.
Der Albtraum ging aber nächsten Tag weiter. Ich kam ins Krankenhaus und man hatte sie schon wieder verlegt. Ihre Sachen waren nicht ausgepackt, die Tasche stand einfach unberührt im Schrank, sie trug wieder dieses Engelkleidchen, dass alle Patienten im Krankenhaus tragen. Also packte ich ihre Tasche aus und als ich an ihr Bett trat, wirkte sie verwirrt. Ich fragte wieder, ob sie schon was gegessen habe und da schüttelte sie den Kopf, zog das Nachthemd hoch und zeigte mir die Magensonde, die durch ihre Bauchdecke ging. Nun hatte ich die Schnauze voll. Ich packte mir erste Schwester die mir über den Weg lief und fragte, was der Unsinn soll. Diese meinte, sie dürfe keine Auskunft geben und verwies mich an die behandelnde Ärztin, die gerade im Begriff war zu gehen. Quasi zwischen Tür und Angel abgefangen, was sie mit einem missmutigen Blick auf ihre Armbanduhr quittierte. Ich fragte sie noch einmal warum eine Magensonde gelegt wurde und bekam zur Antwort, der Oberarzt hätte doch alles mit meiner Mutter abgesprochen und damit sei es doch getan. Außerdem hätte man nicht die Zeit, bei jedem Patienten zu sitzen, bis dieser aufgegessen hätte, sprachs und ging.

Klar, mit einer Magensonde hat mein kein Problem, da wird der Tropf angeschlossen und das Essen läuft rein. Oder es setzt sich ein Angehöriger hin und überwacht die Nahrungsaufnahme, so wie bei der älteren Bettnachbarin. Da kommt die Tochter und füttert ihre Mutter. Alles eine Frage des Geldes und der Zeit. Ich habe langsam den Eindruck, dass das, was sich da gerade abspielt keine Reha ist, sondern eine Verwahrstelle, bis irgendjemand den Stempel herausholt und meine Mutter zum Pflegefall degradiert. Zu allem Überfluß hatte die Bettnachbarin auch noch eine Infektion, so dass wir nur vermummt, in kompletter Schutzkleidung das Zimmer betreten durften. Daraufhin meine erneute Nachfrage bei der Krankenschwester, wie das mit der Ansteckung bei meiner Mutter aussieht, die daraufhin meinte, meine Mutter könne sich nicht anstecken, sie kann ja nicht allein aufs Klo gehen.

In meiner Verzweiflung habe ich mich erst an meinen Arbeitskollegen und Freund gewandt, der mir den guten Rat gab, den Hausarzt einzuschalten und nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Er kennt mich genau und weiß, wenn ich sauer bin, dann werde ich arg ungemütlich. Ich habe also unseren Hausarzt per Mail alles geschildert, denn bei fünf verschiedenen Ärzten, die in der letzten Zeit im Krankenhaus meine Mutter behandelten, habe ich nun fünf verschiedene Meinungen gehört. Nun vertraue ich keinem mehr und aus diesem Grund, habe ich unseren Hausarzt mit ins Boot geholt, der Versprach zu vermitteln.

Am Donnerstag nahm mich die Krankenschwester beiseite und meinte, meine Mutter hätte gut und selbstständig gegessen, man brauchte anstatt der Summe X nur ein bisschen über die Magensonde geben, was mir natürlich in die Karten spielte. Die Krankenschwester war auf meiner Seite, ganz klar. Nur sie durfte nicht zeigen, wie parteiisch sie doch war. Am Freitag saß meine Mutter bereits im Rollstuhl im großen Speisesaal und schaute aus dem Fenster. Sie hatte Kaffee getrunken, Tee bekommen und ich fütterte sie dann mit dem Abendessen. Gegen halb sieben wurde sie unruhig und sie zeigte immer wieder auf ihren Bauch, was ich allerdings nicht richtig deuten konnte. Klar, wenn sie seit Nachmittags im Rollstuhl saß, dann war sie müde. Die Krankenschwester brachte sie zu Bett und ich fuhr nach Hause. Bevor ich aber ging, gab sie mir mit auf den Weg, meine Mutter bräuchte Socken. Kein Problem für mich, ich war am Samstag sowieso in Bottrop, als kaufte ich ihr Socken, von der Kirmes ein großes Lebkuchenherz mit „Ich hab dich Lieb“ und bin damit heute zum Abendessen wieder ins Krankenhaus gefahren. Das Herz traf ihren Geschmack, aber sie selber gefiel mir nicht. Sie war unruhig, ich half ihr sich aufzusetzen. Gegessen hatte sie noch nichts, dass Essen stand auf ihren Nachttisch. Also machte ich mich dran, um sie füttern. Doch bereits nach dem ersten Löffel werte sie ab und fing an zu weinen. Meine Mutter ist kein Weichei oder Memme, wenn sie weint, dann hat es Grund. Sie deutete immer auf den Bauch und zog an ihrer Magensonde. Nun war mir klar, wo das Problem lag. Ich klingelte eine Schwester raus, erklärte ihr die Symptome und sie meinte, es wäre ja auch kein Wunder nach einer frischen Operation. Frisch? Also Mittwoch ist in meinen Augen sicherlich nicht mehr frisch und diese Ansicht teilte dann auch die Schwester. Sie stellte fest, dass die Magensonde zu fest saß und Schmerzen verursachte. Seit Mittwoch muss meine Mutter diese Schmerzen gehabt haben und so langsam wächst in mir nur noch die Wut. Nach dem die Schwester Abhilfe geschaffen hat, war meine Mutter wieder gut drauf und aß mit großen Appetit. Das wichtigste ist für mich immer, dass sie Fernsehen schauen kann, denn wer nur sehr Decke starrt, wird unruhig und langweilt sich. An dieser Stelle eine dickes, fettes Dankeschön an den Mann vom Empfang, den ich am ersten Abend darauf angesprochen habe, dass ein modernes Krankenhaus wie dieses nicht einmal in der Lage ist, die einfachsten Fernsehsender zu empfangen. RTL, Vox, SAT1, alle nicht anwählbar. Er versprach sich darum zu kümmern und der Mann hielt Wort, am nächsten Tag waren alle Sender da. Man muss nur mit den Leuten reden.

Wichtig ist für mich, wenn ich Abends komme, dass meine Mutter ein Stück Normalität in ihr Leben bekommt. Das ist in einem Krankenhaus verflucht schwer, aber dafür bin ich ja da. Normalität heißt, dass ich ihr den Fernseher einschalte und sie kann ihre geliebten Serien sehen. Dann ist sie glücklich. Manchmal braucht man nicht viel, um einen Menschen glücklich zu machen. Dazu gehören auch kleine Aufmerksamkeiten, wie zum Beispiel heute das Herz oder vor zwei Tagen der Strauß Blumen. Die Bettnachbarin bekam von ihrer Tochter ein Strauß und meine Mutter deutete die ganze Zeit darauf und ich fragte sie, ob sie auch Blumen wolle. Sie nickte und am nächsten Tag stand ich mit einem Strauß mit Rosen bei ihr im Krankenzimmer. Man muss alles tun, um den Patienten aufzubauen.

Nun ist mein Urlaub vorbei. Ab Montag hat mich der tägliche Wahnsinn an der Waage
wieder. Abwechslung zum jetzigen Alltag. Abends dann geht es wieder ins Krankenhaus, danach zu meiner Mutter in die Wohnung, um da nach dem Rechten zu schauen und das Laub vom Balkon zu fegen, denn die Nachbarn haben Angst, dass bei Regen der Abfluss verstopft und ihnen das ganze Wasser auf den Kopf plätschert.

Wie gesagt, der Urlaub ist vorbei. Fazit, täglich Krankenhaus, täglich in Mutters Wohnung den Briefkasten leeren, die Blumen gießen, das Laub aufsammeln, ich war beim Optiker, ich bekomme drei Brillen, eine zum Autofahren, zwei zum Lesen, ich war beim Gefäßchirurgien wegen meiner Halsschlagadern, ich habe mein Auto in Werkstatt gebracht, war zum Blut abnehmen, wobei eine Schwester meine Venen nicht gefunden hat und Hilfe bei ihrer Kollegin suchte. Ich habe mit dem sozialen Dienst gesprochen, zwei Makler haben die ETW bewertet, ich habe fast täglich Wäsche für mich und natürlich für mein Mausebärchen im Krankenhaus gewaschen und nun gebe ich ehrlich zu, bin ich echt Urlaubsreif. Dabei stehen wir erst am Anfang eines langen Weges.

Ach ja, die Richterin, die den Antrag vom Marien Krankenhaus auf den Schreibtisch bekam, wunderte sich nicht schlecht darüber, dass obwohl noch keine abschließende Beurteilung vom Gutachter vorlag, bereits die Operation durchgeführt worden ist. Ist da vielleicht nicht etwas voreilig gehandelt worden? Ich kann mir da leider keine Meinung zu bilden, denn ich bin Angehöriger und damit immer voreingenommen. Wie bereits erwähnt, habe ich aus diesem Grund unseren Hausarzt als neutralen Vermittler eingeschaltet, damit er mir auf Deutsch erklären kann, was mir die Ärzte mit ihren Fachchinesisch um die Ohren hauen.

Damit ich irgendwann die Spatzen herausholen kann, die dann auf die Kanonen scheißen…