Das Leben ist so grausam und ungerecht.
Meine Mutter hatte in der Nacht vom Samstag, 09.09.2018 auf Sonntag 10.09.2018 nach September 2015 wieder einen Schlaganfall, ihren zweiten diesmal. Im Vergleich zum ersten Schlaganfall ist alles um einiges heftiger ausgefallen. Der erste war ein Warnschuss, wie der Arzt meinte, der zweite ein Volltreffer. Jetzt, knapp eine Woche danach, hat sie die Intensivstation verlassen, auf die sie nach einer Notoperation gekommen ist. Ich fahre täglich zu ihr und manchmal erfreut man sich an kleinen Dingen, wie zum Beispiel ein Händedruck, ein Lächeln. Medizinisch wird alles getan, aber wohin der Weg führt, dass weiß keiner. Zur Zeit ist sie halbseitig gelähmt, sie kann nicht mehr ihren rechten Arm bewegen und auch das rechte Beine spielt nicht mehr mit. Klar, die Reha kann viel bewirken, aber ob es so sein wird wie früher, dass weiß keiner. Am Ende mache ich mir persönlich die schwersten Vorwürfe, denn als ich sie am Samstag in der Nacht um 0:15 verlassen habe und ich sie eine halbe Stunde später telefonisch nicht erreichen konnte, hätte ich meinem Instinkt folgen sollen, auf dem Absatz kehrt zu machen und zurückzufahren. Aber was hätte es genutzt? Ja, wir hätten nicht soviel Zeit verloren, aber am Ende hätte ich sie überhaupt nicht finden können, denn sie hat den Schlüssel stecken lassen. Das macht sie immer, aus Angst vor Einbrechern. In diesem Moment wäre es vielleicht gut gewesen, hätte sie es diesmal nicht gemacht, aber alles Wenn und Aber hilft nun auch nix mehr, es ist halt geschehen. Sie sagte sie sei müde und deswegen dachte ich mit zweiten Gedankengang daran, sie hat sich hingelegt und hat das Telefon nicht mehr gehört.
Am nächsten Morgen habe ich sie dann erreicht. Sie fand keine Wort mehr und mir war sofort klar, da stimmt was nicht. Ich bat Sie darum, den Schlüssel aus dem Schloss zu ziehen, legte auf, sprang in meine Klamotten und fuhr wie eine besengte Sau mit 180 Sachen über die A40 zu meiner Mutter. Hier eingetroffen war mir sofort bewusst, was geschehen ist und auch wenn sie es nicht wollte, alarmierte ich den Notarzt, der dann auch zügig kam. Vielen Dank an dieser Stelle an das Team von der Feuerwehr Bochum und der Krankenwagenbesatzung der Fa. Falck Krankentransporte. Ihr ward nicht nur gut, sondern echt nett und einfühlsam.
Im Josef Krankenhaus in Bochum wird sie nun umsorgt und liebevoll betreut. Auch hier kann man nur „Danke“ sagen, mehr fällt mir derzeit nicht ein.
Ich versuche jedesmal bei meinen Besuchen stark zu sein, aber ich muss immer wieder mit meinen Tränen kämpfen, wenn ich sie da so hilflos liegen sehe. Sie kann nicht sprechen, also auch mir nicht mitteilen, was sie wünscht, was ihr wehtut. Ich versuche alles so gut wie möglich in ihrem Sinne zu erledigen, weiß aber, dass sie vieles anders machen würde.
Tage bevor sie den Schlaganfall erlitten hatten, waren wir noch bei Sascha Grammel und hatten einen Riesenspass. Das geflügelte Wort des Käse der Wahrheit, ein holländisches Neeje, wurde von ihr immer mit Vollpfosten, dem Wort des Abends von Sascha Grammel erwidert. Danach führten wir ein ernstes Gespräch, in dessen Verlauf wir feststellten, dass wir beide nur noch uns haben. Meine Tante lebt in Breidenbach und ist acht Jahre älter als meine Mutter, der Kontakt zu ihren Kindern ist eher spärlich. Die Leben mit ihren Familien ihr Leben und das ist auch gut so. Manchmal wünschte ich mir nun doch jemanden an meiner Seite, mit dem ich Reden und mir Ratschläge holen kann. Mein Arbeitskollege hat seine Hilfe angeboten und auch meine Chefin und ich werde sicherlich irgendwann darauf zurückgreifen müssen. Meine Arbeitskollegen an sich waren sehr verständnisvoll und ermöglichten mir, dass ich früher nach Hause gehen konnte. Dafür hat Kevin sogar auf seinen Frühdienst verzichtet, auch an dieser Stelle noch einmal Danke dafür. So konnte ich in den Besuchszeiten auf die Intensivstation.
Die Arbeit an sich lenkt mich ab, der Weg zum Krankenhaus ist für mich schwer und auch die Zeit, wo ich an ihrem Bett sitze und ihr nicht helfen kann.
Und da sind dann noch unsere Pläne. Wir haben Eintrittskarten für den Mondpalast Ende des Monats, aber sie wird sie nicht nutzen können denn zu diesem Zeitpunkt wird sie in der Reha sein. Allein möchte ich nicht hingehen, ich würde mich als Verräter fühlen. Ende Oktober könnte vielleicht wieder ein realistisches Ziel sein, aber das werden erst die nächsten Wochen zeigen. Der Mondpalast nimmt die Tickets laut AGB nicht zurück, eine Versicherung haben wir auch nicht abgeschlossen. Aber ich denke Mal, dass dies nun das kleinste Problem ist. Wichtig ist es viel mehr, dass sie bald wieder auf die Beine kommt, auch wenn es bis dahin ein verflucht langer Weg sein wird. Wird werden es schaffen, beide. Nur wir stehen am Anfang eines Marathons, dessen erste Schritte wir erst gelaufen sind. Es heißt jetzt schon aufpassen, um nicht alle Kraft auf einmal für die ersten Meter zu vergeuden.
Zum Abschied haben wir seit Jahren ein Ritual entwickelt: Jeder sagt dem anderen HDL, dass heißt nix anderes, als wie Hab dich Lieb! Man weiß nie, wenn man sich das letzte Mal sieht und dann hat man es dem anderen nicht gesagt, was er für einen bedeutet.
Das ist unser letztes gemeinsam Foto vom 03.09.2018 im Ruhrkongress Bochum, kurz bevor Sascha Grammel auftrat. In diesem Sinne Mausebärchen, dass ist ihr Spitzname, Ich hab dich lieb!!