… für einen Menschen, der mein Vater war.
Mein Vater verstarb nach langer, schwerer Krankheit und vier Jahre Aufenthalt im Pflegeheim am 31.01.2018 in einer Berliner Klinik.
Die Nachricht erreichte mich am Tag darauf, als seine jetzige Frau mich abends kontaktierte und mir mitteilte, dass ich nun stark sein sollte, denn Papa wäre von uns gegangen. Ich war überraschend emotionslos gewesen, denn schon lange habe ich auf diese Nachricht gewartet. Nicht, weil ich ihm den Tod gewünscht hätte – nein, wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er 100 und mehr Jahre alt werden dürfen. Aber die letzten Jahren hatten aus dem einst so stolzen Mann einen Pflegefall gemacht, der nur noch im Heim vor sich hin vegetierte und von der Umwelt nicht mehr viel mitbekam. Für ihn und seine Frau – so schlimm es auch klingen mag – war es letztendlich eine Erlösung. Evi kann nun ihr Leben neu sortieren, auch wenn das Pflegeheim viel Geld gekostet und alle Ersparnisse aufgefressen hat, es gibt am Ende noch eine schöne Witwenrente, die sie hoffentlich noch lange genießen kann.
Mein Vater ist für mich nun das zweite Mal gestorben. Meine Eltern trennten sich. als ich zwei, knapp drei Jahre alt war. Er hatte schon damals seine jetzige Frau kennengelernt und eine Art Doppelleben geführt. Früher war er oft auf Montage und Frau und Kind waren mehr Belastung, als Freiheit. Aus diesem Grund hielt die Ehe meiner Eltern nicht lange. Wir sind dann 1976 aus der ehemaligen DDR ausgesiedelt und das erst, nach dem mein Vater seine Einwilligung dazu geben hatte. Meine Mutter stellte viele Jahre (14!) lang Ausreiseanträge, schon bevor ich geboren wurde und hätte schon viel früher in die BRD übersiedeln dürfen, doch mein Vater stellte auf stur und verweigerte seine Zustimmung. Er wollte eigentlich, dass sein Sohn im Sozialismus aufwächst und ein treuer Diener des Staates wurde. Seine Unterschrift wollte er sich teuer erkaufen, doch durch Zeugenaussagen wurden seine Pläne durchkreuzt und so konnte er nicht mehr umher und musste klein bei geben.
Ich bin also ohne Vater aufgewachsen. Noch nicht einmal Kindergeld wollte er bezahlen, aber es gibt Gesetze, gegen die auch er sich nicht verwehren konnte und so wurde monatlich ein Betrag gepfändet. Ich habe viele Jahre nichts mehr von ihm gehört. Bis auf zwei Modellflugzeuge, die ich mit sieben Jahren geschenkt bekam, gab es keine Lebenszeichen von ihm. Zu meiner Konfirmation hatte ich ihm ein Foto von mir geschickt, doch das kam wieder zurück. Er war unter seiner hinterlegten Adresse in Berlin nicht mehr ermittelbar. Damit war er für mich gestorben. Jeder, der mich nach meinem Vater fragte, erzählte ich dies, denn es gab ja wirklich keinen Kontakt mehr.
Wenn damals die Kinder in der Schule von ihrem Wochenenden und ihren Familienleben erzählte, gab es aus meiner Sicht nichts zu berichten. Meine Mutter schob alle 14 Tage Wochenenddienst im Altersheim um das Geld für unsere kleine Familie zu verdienen und meine Großeltern haben nie was mit mir unternommen. Also hat mein Vater mit seinem Fremdgehen, seinem Eigensinn und der daraus resultierenden Scheidung mir ein perfektes Familienleben vorenthalten. Darüber war ich manchmal traurig, denn ein Vater an seiner Seite zu haben, der mit einem baut, schraubt und herumtollt, der Spaß macht aber auch streng sein kann, dass wünschte ich mir immer. So wie halt bei meinen Schulkameraden. Das da auch nicht immer eitel Sonnenschein gewesen ist, hat man erst im nachhinein erfahren.
Dann irgendwann im August 2004 klingelte mein Nachbar, der Besitzer einer Pizzeria bei mir im Büro und meinte, in seinem Lokal würde jemand sitzen, der vorgab mein Vater zu sein. Das war echt eine Überraschung. Ein Wiedersehen nach 30 Jahre. Wir versuchten in den darauffolgenden Jahren so ein wenig Normalität aufzubauen, so oft es der Geldbeutel zuließ fuhr ich nach Berlin und wurde dort immer mit offenen Armen und Großzügigkeit empfangen. Es schien so, als wollte er 30 Jahre gut machen, obwohl ehrlich gesagt, es blieb bei Bemühungen. 2008 sahen wir uns zum letzten Mal, 2014 brach der Kontakt ab, weil eine Weihnachtskarte mit Vermerk, unbekannt verstorben zurück kam. Erst 2016 unternahm ich noch einmal einen Versuch, nach dem ich über das Einwohnermeldeamt erfahren hatte, dass die alte Anschrift noch immer galt. Ich schrieb einen Weihnachtsbrief.
Kurz darauf kam auch die Antwort von Evi, seiner jetzigen Frau. Vater hätte mehrere Schlaganfälle gehabt und wäre jetzt im Pflegeheim. Er hat geweint, als sie ihm diesen Brief vorgelesen hatte und ich versprach 2017 nach Berlin zu kommen. Doch dann kam Eggenfelden und meine Geldbusse von 3000,00 €, die ich für meinen damaligen Arbeitgeber SLV übernommen hatte und keinen Cent davon zurückerhalten habe und so blieb es bei dem Vorhaben, noch einmal nach Berlin zu fahren. Mein Geld reichte nicht und so ist er gestorben, ohne das ich ihn noch einmal besuchen und mich persönlich verabschieden konnte.
Er ging allein auf seine Reise in die Unendlichkeit und ich bedauere sehr, ihn nicht noch einmal gesprochen, seine Hand gehalten oder ihn umarmt habe. Auch wenn wir nicht mehr im Kontakt standen, am Ende war er mein Vater und ein Teil meines Lebens. Auch wenn unsere Wege sich wirklich nur kurz kreuzten, bleibt ein bisschen von ihm in mir erhalten.
Ich bin auf jeden Fall im Reinen mit ihm. Er hat sein Leben gelebt, er war ein Einzelgänger und mochte keine Feierlichkeiten. Dies habe ich alles von ihm übernommen. Möge er jetzt dort oben auf seiner Wolke glücklich ohne Schmerzen sein.
…und eines wissen wir alle, er ist nicht wirklich weg, denn überall sind seine Spuren, seine Bilder und Erinnerungen. Er ist für uns einfach nur den Weg schon vorausgegangen, den wir alle einmal gehen müssen.
Dieser Nachruf ist für mich ein Abschluss. Jede Geschichte muss zu Ende erzählt werden und dies habe ich hiermit getan.
Ruhe in Frieden, Papa