Ich bin ein schlechter Mensch…

Ich bin ein schlechter Mensch, dass muss man
erst einmal verdauen. Das bekommt man so einfach ohne Vorwarnung vor den Latz
geschmettert, nur weil man nicht mit den Anderen einer Meinung sein möchte. Ich
bin ein schlechter Mensch…, weil ich nicht mittrauern kann, wie man es von
mir erwartet. Ja, ich bin ein schlechter Mensch. Jeden Monat beweise ich es
aufs Neue, wie viel von dieser Schlechtigkeit doch in mir steckt. Jeden Monat,
wenn ich als Gönner für ein Kinderhospiz auftrete. Jeden Monat, wenn die
Abbuchung für Projekt Arche in Berlin von meinem Konto getätigt wird. Jedes mal,
wenn Aktion Kinderträume und Strahlemännchen sich ihre Anteile holen. Ja, ich
bin ein schlechter Mensch.

Ich bin im Förderverein von Sonnenstrahlen e.V.,
ich unterstütze das Kinderhospiz Sternenbrücke. Ich zücke meine Geldbörse, wenn
es darum geht, eine Spende für die Tafel oder eine Schule zu hinterlassen,
damit diese Ihre Projekte verwirklichen können. – Ja, ich bin ein sehr
schlechter Mensch, der nur an sich denkt und für andere nichts mitbringen
möchte.

Warum bin ich so ein schlechter Mensch?

Ich habe
es doch tatsächlich gewagt zu sagen, dass ich mit meiner Mutter alles geregelt
habe. Wir sind nur eine Zwei-Mann-Familie und da muss man schon frühzeitig
wichtige Dinge regeln, wenn man im Falle eines Falles nicht plötzlich
unvorbereitet dasteht. Wie schnell so etwas gehen kann, habe ich im September
gesehen, als meine Mutter einen Schlaganfall bekam. Wie ein Blitz aus heiterem
Himmel, völlig unvorbereitet. Aber das ist man ja meistens, wenn das Schicksal
zuschlägt. Seit diesem Tag sehe ich die Sache etwas anders. Wir haben
gesprochen und wir haben geregelt. Im Falle eines Ablebens meiner Mutter wird
alles zu Geld gemacht, was wir besitzen und dann werde ich einen Neustart
beginnen. In Österreich, vielleicht in Wien, vielleicht aber auch woanders. Wien
ist zwar meine Stadt, dort möchte ich gerne Leben, dort würde ich gerne
arbeiten. Aber diese Regel gilt nur für den Tag X und als ich das verkündete
habe, bin ich als schlechter Mensch betitel worden. Ach ja, außerdem bin ich
ein Lingo, weil ich mich aus allen Diskussionen soweit wie möglich raushalte.
Man sagt mir nach, ich würde nicht die Wahrheit sagen, aber ehrlich gesagt,
diejenigen, die mir dies alles vorwerfen, können die Wahrheit doch gar nicht
vertragen. Sie leben in ihrer Welt, glauben an ihre Position und ihre Macht und
daran, dass ihnen keiner gefährlich werden kann. Mit der Wahrheit können diese
Leute doch gar nichts anfangen.

Dann wird mir nachgesagt, ich bringe nischt mit.
Das ist richtig, denn wenn mein Weg mich nicht zwangsweise in einen Supermarkt
führt, dann gehe ich auch nicht dahin, um jemanden einen Gefallen zu tun. Denn
meistens sind die, die am lautesten heulen, diejenigen, die am wenigsten für
die Allgemeinheit tun. Egal, ich muss mit diesen Vorwürfen leben, denn ich bin
ja „selbst inschuld“, dass ich mich auf dieses Spiel einlasse. Jetzt,
wo alle Masken gefallen sind, jetzt wo es unter neuer Heeresführung gilt, sich
neu zu profilieren, sich neu zu positionieren, da beginnt das beliebte
Gesellschaftsspiel, den anderen im schlechten Licht erscheinen zu lassen.
Damals, als ich im Mai 2014 meine Schicht antrat, da gab es so etwas wie eine
Art Aufbruchstimmung, ich wollte etwas bewegen und mehr erreichen. Doch heute
bin ich desillusioniert!
Ich bin ich wieder an dem Punkt angekommen, wo
ich mich frage, warum habe ich nicht noch gewartet. Nur die Aussicht mit einem
Kollegen zusammenzuarbeiten, mit dem ich schon immer ein Team bilden wollte.
Wenn man nun täglich miteinander zu tun hat, dann ist das was anderes, als wenn
man aus einer gewissen Distanz zusammengearbeitet hat. Man lernt nicht nur das
Positive von demjenigen kennen, sondern auch zwangsweise die negativen Seiten.
Dann kommt die Enttäuschung und man erreicht wieder diesen Punkt, der einen
damals schon sagte, spiele nicht mit den Schmuddelkindern. Du kannst da nicht
gewinnen, du gehst nur unter. Wer weiß, was noch alles auf mich zukommt, warum
tust du dir alles an?

Das ich jeden Morgen mit einem dicken Hals zur
Arbeit fahre, dies ist kein Geheimnis. Ich mag die Harmonie im Team, dort wo
alle an einem Strang ziehen und sich nicht nur mit ihrem Handy und ihrem
Privatkram befassen. Ich will was erreichen, doch inzwischen glaube ich, dass
dies auch nur noch so eine Ausrede von mir ist. Ich will was erreichen ist
genauso dahingesagt, wie der Satz, dass ich ein schlechter Mensch bin. Was kann
ich denn bewirken? Als Einzelner sicherlich nicht viel, ich kann meine Ideen
einbringen und muss am Ende zusehen, wie aus meinen Einfällen nichts mehr übrig
bleibt, weil Sie die Platzhirsche bereits mit ihren Einwänden zerstört haben.
Was soll ich dann noch sagen? Es reicht doch schon, wenn man Tag für Tag auf
die Schnauze bekommt, man der Fußabtreter für Personen ist, die in der
Nahrungskette weit über einen sitzen.

Aber das kenne ich noch zur genüge. Ob bei meinem
vorletzter Arbeitgeber, wo ich in einer Zeit, wo die halbe Belegschaft wegen
Krankheit und Urlaub ausgefallen ist, und ich von morgens um halb sieben bis
abend um halb acht meinen Dienst versah, Aufträge anlegte, Dispo machte,
Statistiken für die Geschäftsleitung pflegte oder mich einfach nur um jeden
Scheißkram kümmerte und als Dankeschön von allen Dingen entbunden und in einen
einsames Waagehäuschen gesteckt wurde oder bei einem vorvorletzten Arbeitgeber,
der nicht einmal die Größe besaß, sich von mir persönlich zu verabschieden, nur
weil er es nicht verkraften konnte, dass jemand es wagte, so einfach zu gehen, weil
er keinen Sinn mehr in der Arbeit sah. Vielleicht würde es die Firma heute noch
geben, wenn er in manchen belangen auf mich gehört hätte. Aber was nützt es
über vergossene Milch von damals zu klagen. Er ist seinen Weg gegangen und hat
seine Erfahrungen gemacht, ich gehe meinen Weg und weiß, dass manche Dinge
nicht so ganz glücklich gelaufen sind. Aber soll ich mich verbiegen, um
Everbodies Darling zu sein? Ich will das nicht – nicht heute und auch nicht in
Zukunft.

Ich bin auch kein schlechter Mensch, nur weil ich
mich halt anders verhalte, als die meisten. Für mich sind Flüchtlinge nicht
willkommen, wenn im Gegenzug unsere Soldaten in die Krisengebiete entsandt
werden müssen, um in diesen Ländern zu helfen, damit wieder Recht und Ordnung
hergestellt werden kann. Ich bin nicht dafür, dass diese jungen Männer sich
hier auf die faule Haut legen, während deutsche Soldaten, in einem Land unter
Feuer genommen werden, in dem sie nicht willkommen sind.

Flüchtlinge als Familienverbund, Mutter, Vater
und Kinder sind in meinen Augen jederzeit Leute, denen man unsere Hilfe
anbieten muss. Sie flüchten vor Vergewaltigung, Mord und Entführung. Aber wir
dürfen unter all diesem Leid und Elend auch nicht unsere Mitbürger vergessen,
die trotz Arbeit zur Tafel gehen müssen, um über die Runden zu kommen. Hilfe
ist immer gut, aber nicht auf Kosten unser Schwächsten. Wenn wir keinen Platz
mehr haben, dann dürfen wir keinen mehr aufnehmen. Es kann nicht sein, dass in
Deutschland Sportvereine nicht mehr weiter bestehen können, nur weil wir die
Turnhallen und Sportanlagen dafür gebraucht werden, um den Tausenden Menschen,
die teils aus Not, teils aus falschen Versprechen ihre Heimat verlassen und
sich auf den beschwerlichen Weg nach Deutschland gemacht haben, ein Dach über
den Kopf zu bieten. Hilfe ist gut und schön und ich tue meinen Teil jeden Monat
dafür, nur man darf es nicht übertreiben. Das Gießkannenprinzip ist falsch. Wir
– damit sind alle Waffenlieferanten und Politiker gemeint – müssen die Wurzel
dort anpacken, wo sie zu kranken anfängt. In der Krisenregion, wo wir noch mehr
Waffen hinliefern, Waffen mit denen dann in Europa Menschen erschossen und Anschläge
verübt werden. Erst die Länder führungslos sich selber hinterlassen und sich
dann über den Terror wundern. Wir haben wirkliche großartige Politik geleistet.
Die Führer, die diesen Ländern einigermaßen Stabilität brachten, gestützt und
das Land einem Heer von korrupten und unfähigen Politikern überlassen. Und am
Ende wundern wir uns über das Phänomen ISIS.

Noch ist die Stimmung in diesem Land pro
Flüchtling. Aber mit jedem Anschlag, jedem Verbrechen, jeden Fehlverhalten
ändert sich die Lage. Was passiert, wenn hier die ersten Bomben explodieren,
die ersten unschuldigen Menschen sterben? Wie reagieren die Gutmenschen? Kommen
dann nicht die Rattenfänger, die bereits im Osten die Menschen mobilisieren,
unter dem Mantel für ein sozialeres, gerechteres Deutschland. Wir erinnern uns
an die graue Vorzeit, an die schwärzesten Stunden unseres Landes? Soll sich das
wiederholen?

Ich schließe mich der Idee von Salman Rushdie an.
Die Religion ist die Wurzel allen Übels. Im Namen Gottes wurden Glaubenskriege
geführt, im Name des Propheten Ungläubige getötet. Es wurden Opfer gebracht und
Stämme ausgerottet. Aber wenn man den Menschen die Religion nehmen würde, was
wäre dann? Sie würden sich neue Götzenbilder suchen, denn der Mensch braucht Halt.
Er braucht jemanden, den er anbeten und mit dem er Zwiesprache halten kann,
wenn es ihm schlecht geht. Der Mensch und sein Willen sind der Fehler im
System. Er führt Kriege, er zerstört die Umwelt und vernichtet die, die anders
sind und sich nicht unterwerfen wollen. Schade eigentlich, denn der Mensch wird
ja eigentlich unschuldig geboren…

Wir sind selbst inschuld, was später aus diesem
kleinen Wesen wird. Vielleicht am Ende auch so ein schlechter Mensch, wie ich
es einer bin?