Aus! Schluß! Vorbei! Ab Dienstag gebe ich das Zepter wieder an denjenigen
weiter, der seit sechs Jahren in unserem Unternehmen in der
Dispo verdient gemacht hat und ich weiche damit wieder freiwillig zurück
ins zweite Glied. Da fühle ich mich derzeit sehr wohl, ich erhebe keine
Ansprüche darauf, in der ersten Reihe stehen zu dürfen. Vierzehn Tage
reichen mir erst einmal und meine Ambitionen gehen eher in eine andere
Richtung. Ich bevorzuge eine gute Teamarbeit und da ist es mir viel
wichtiger, dass wir uns verstehen, als das wir Machtkämpfe austragen,
die nur dem Unternehmen schaden können und auch nach außenhin keinen
guten Eindruck hinterlassen würden. Nur wenn man geschlossen auftritt,
ist man stark. Der Alltag ist schon schwierig genug, da muss man nicht
noch unnötig Kräfte durch irgendwelche Machtkämpfe vergeuden.
Als
Neuer steht man ja sowieso in einem besonderen Fokus. Sei es in der
Firma, oder in einem Mietshaus, man wird das blöde Gefühl nicht los,
dass man besonders beäugt und gewogen wird. Im Beruf wird man nach sechs
Monaten für gut oder schlecht befunden, im Privaten kann das mit unter
viele Jahre dauern. Putzt der Neue auch richtig den Flur, hat er auch
das Fachwissen, was er in den Bewerbungen vorgibt? Vielleicht habe ich
in diesen Bezug eine Paranoia, oder auch nur eine gute Menschenkenntnis,
anderseits bin ich noch immer Westerwald geschädigt, wo ja jeder
bereits beim Einzug besser Bescheid über einen weiß, als man selber über
seine neue Nachbarschaft. Gut, meine Mutter meinte immer, wir haben uns
bei der Wohnungssuche zu früh entschieden, aber zu früh gab es für mich
nicht, denn auf der einen Seite wollte ich aus dem Hotel Mama
ausziehen, weil ich die Gastfreundschaft meiner Mutter schon allzulange
strapaziert habe, auf der anderen Seite sollte mein Leben auch wieder
eine Struktur bekommen. Das ich mich nicht wohlfühle liegt vielleicht
auch daran, dass ich immer noch Angst habe, mich so zu bewegen, wie in
meinen anderen Wohnungen. Wie war das noch mit der Paranoia?
Laute
Musik, Heimtrainer, Boxsack, all das gehörte zu meinem Leben, aber
heute möchte ich keinen stören, denn ich habe bereits beim Einzug mehr
Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, als es mir und den Nachbarn Recht
gewesen ist. Gut, dass liegt nun auch sechs Monate zurück und damit
dürfte das Thema auch bei den meisten vergessen sein, nur nicht bei
mir. Denn auch ich ziehe mein Rückschlüsse, weiß schon lange, dass wenn
zwei dasselbe tun, es noch lange nicht das Gleiche ist. Aber okay, damit
kann ich umgehen, musste es doch bisher mein ganzes Leben lang tun.
Früher als Kind wurde meine Cousine als Vorbild vorgeschoben, die alles
besser machte. Da konntest du strampeln und kämpfen, in den Augen der
Großeltern, die ihre Enkelkinder aus ihrer Sicht alle gleich behandelte,
war es noch immer nicht Recht. Unsere Oma liebte uns schon alle, aber
ich teilte mit ihr meinen Alltag, während die Kinder meiner Tante nur
zwei, vielleicht dreimal im Jahr das Vergnügen ihrer Gegenwart zuteil
wurde. Das verklärt vielleicht den Blick und Fehler werden halt weniger
verziehen, als wenn man jemanden nicht so oft sieht. Unsere Oma
war nicht schlecht, großzügig und offenherzig, sie hätte für uns alle
ihr letztes Hemd gegeben, nur mit der Gerechtigkeit war das so eine
Sache. Aber das liegt nun wirklich viele Jahre zurück und soll auch in
dem Keller der Vergangenheit liegenbleiben und nicht wieder an das
Tageslicht befördert werden.
Schon als Kind habe ich damals die berühmte Arschkarte
gezogen, nix war gut genug und egal wie man sich verhielt, es war
trotzdem immer falsch. Schule, Familienleben, alles gestaltete sich in
einer bestimmten Form schwierig. Man lernte sich anzupassen, Allianzen
zu schmieden und legte sich eine gewisse Überlebenstaktik zusammen, um
in der Schule oder auch sonst nicht unterzugehen. Immer drauf auf den
kleinen Dicken, der sich nicht wehrte, bis ich dann auch mal kräftig
zurückschlug. So ist das manchmal im Leben – die Sieger stehen im Licht, die Verlierer im Dunkeln sieht man nicht. Das
ist mein Problem – ich versuche immer zu den Besten zu gehören, denn
nur dann scheint man Beachtung und Anerkennung zu bekommen. Aber für
wenn tue ich das? Für mein Selbstbewusstsein? Eher nicht? Für meine
Großeltern? Die sind schon viele Jahre nicht mehr unter uns? Es ist das
Kindheitstrauma und daran krankt so manche Seele.
Ich
habe mich mit der Rolle des schwarzen Schafes, das mir das Leben zu
teile, arrangiert. Früher als Kind sah ich das nicht so locker, aber
heute betrachte ich die Dinge aus der Entfernung und kann nur sagen,
dass ich mir selber viele Chancen selber verbaut habe. Aber da hilft
kein Wenn, Wäre oder Aber, die Zeit läßt sich nicht zurückdrehen und man
muss mit dem Erreichten zufrieden sein. Es hätte ja auch wesentlich
schlimmer kommen können.
In
einer Woche treffe ich dann nach sechs Jahren wieder mit meinem
Cousinchen zusammen und auch wenn wir nicht mehr so regelmäßig Kontakt
haben, freue ich mich auf das Wiedersehen. Sie trifft doch keine Schuld,
dass sie von unserer Oma in den Himmel gehoben und ich ausselbigen
abgestürzt bin.
Das
Leben schreit nach Veränderung. Nicht wie im letzten Jahr, als ich nach
meinem vierzigsten eine Lebenskrise hatte und ich alles erreichte in
Frage stellte. Das Ergebnis daraus, ich habe endlich den Arsch
hochbekommen, habe mich umorientiert und bin nun wieder seit zehn
Monaten (offiziell erst seit sechs Monaten) in meinem geliebten
Kohlenpott. Aber wenn man keine Träume, Ziele oder Sehnsüchte hat, dann
ist es um das Leben und die vergeudete Zeit schade. Mein Horoskop für
die kommende Woche meint, ich wäre ein Optimist, aber das ist nicht
richtig. Eher das Gegenteil trifft auf mich zu, aber egal, ich lass mich
überraschen was die Zukunft für mich bereit hält. Sei es im privaten
Bereich oder in meinem Job.
Nun freue
ich mich auf den Feiertag, denn meine Energiereserven sind auch bald
erschöpft, einen Tag länger relaxen und natürlich auch auf die Rückkehr
meines Kollegen aus dem Urlaub.
Ich
weiß aus den Gesprächen meiner Kollegen, dass es einige unter Ihnen
gibt, die regelmäßig meine Homepage besuchen. Deswegen möchte ich auf
diesen Weg die Gelegenheit nutzen, mich bei meinen Fahrern zu
bedanken, die mich in den letzten 14 Tagen so toll unterstützt haben.
Ihr seid wirklich eine prima Truppe und man kann gerade in den
hektischen und streßigen Zeiten auf Euch bauen. Gleiches gilt auch für
meine Kollegen und Kolleginnen in der Verwaltung, die meine Launen
ertragen mussten. Ach ja, mein Dispokollege darf natürlich nicht
unerwähnt bleiben – keine Sorge, Du darfst noch einmal in den Urlaub
gehen. Und siehste, ich habe es nicht geschafft, die Firma zu ruinieren,
auch wenn der eine oder andere Kunde nun ein paar Tage länger auf seine
Rechnung warten musste, weil ich noch nicht alle
Lieferscheine abgearbeitet habe.
Aber
es gibt auch eine Person in unserer Firma, die meint, wir in der Dispo
hätten den ganzen Tag nischt zu tun und würden aus Jux und Dollerei von
morgens bis abends an unserem Arbeitsplatz sitzen und aus lauter
Boshaftigkeit die Lieferscheine nicht bearbeiten, damit sie nicht mit
ihrem Monatsabschluss weiterkommt. Aber solche Menschen findet man in
jedem Unternehmen und sie sind ja gerade das Salz in der Suppe. Man
stelle sich vor, wir Menschen wären alle gleich – das wäre doch
furchtbar!
So,
den morgigen Samstag kriege ich auch noch rum und ab Dienstag sind wir
wieder ein Team. Nur schade, ich habe es leider nicht geschafft, meinen
Kollegen in seinem Urlaub in Ruhe zu lassen. Sorry!!
In diesem Sinn noch eine schöne Zeit!