Von einer Geschichte, die sich so zugetragen hat, wie sie nachstehend beschrieben wird, will ich nun berichten.

Der zwölfjährige Junge einer sportbegeisterten Familie durfte nach einem überstandenen Kreuzbandriss wieder am aktiven Sportleben teilnehmen. Er ist begeisterter Triathlet und Fußballer, dass stillsitzen und sein Bein schonen fiel ihm sehr schwer. Er strapazierte mit seiner Ungeduld nicht nur die Nerven seiner Eltern, sondern auch die seiner Umwelt. Als er dann nach Weihnachten endlich wieder Schwimmen gehen und langsam mit dem Aufbautraining beginnen durfte, war er der glücklichste Mensch der Welt. Er fühlte sich gut und als er mit seinem Papa nach dem Schwimmen in die Umkleidekabinen ging, ihre Sachen aus dem Schließfach holten wollten, stand dieses offen. Nicht aufgebrochen, keine Einbruchsspuren, die Tür war einfach nur angelehnt. Es fehlte aber weder Bargeld noch Smartphone, nur die Unterhose des Jungen. Dafür lagen zwei Kondome drin, noch eingepackt. Der Vater meldete den Vorfall dem Bademeister, der die Sache runterspielen wollte und von einem dummen Jungenstreich sprach. Das die Schließfächer von Seiten Unbefugter leicht zu öffnen seien, räumte er zähneknirschend ein. Das Problem sei bekannt, aber in so einer kleiner Gemeinde, wo jeder jeden kennen würde, gäbe es doch keine Diebe. Mit der Erklärung gab sich der Vater des Jungen erst einmal zufrieden, denn bis auf die Unterhose seines Sohnes fehlte ja sonst nichts. Aber wer klaute schon einen Kinderslip? Pädophile?

Am Abend diskutierte er noch lange mit seiner Frau über seine Gedanken, die natürlich sich gleichfalls ihre Sorgen machte. Am nächsten Tag dann ging der Junge wieder mit seinem Vater ins Schwimmbad, wollte seinen neuen Triathlonanzug testen und als er nach dem Schwimmen sich wieder umzog und noch zur Massage wollte, legte er den nassen Anzug in den Spind und ging in den Nebenraum. Als er eine halbe Stunde später wiederkam war der Anzug verschwunden. Die Tür angelehnt, alle Wertsachen da, nur der Tri Suit fehlte. Nun wurde der Bademeister genötigt, die Polizei einzuschalten, es sollte Anzeige erstattet werden. Doch der Bademeister meinte, es wäre besser, die Sache erst einmal auf sich beruhen zu lassen. Warum, konnte sich keiner erklären. Wusste der Bademeister mehr als er zugeben wollte?

Am Silvestermorgen, als die Familie vom Einkaufen nach Hause kam, hing ein Plastikbeutel an der Haustür. Mit einem Zettel und den gestohlen Sachen darin. Auf dem Zettel stand in ungelenker Handschrift: Entschuldigung, ich wollte es mir nur ausleihen. Die Sachen waren gewaschen und ordentlich gefaltet. Aber wer steckte dahinter?

Im neuen Jahr stand dann plötzlich ein Junge, etwa elf Jahre vor der Haustür, in Begleitung seiner Mutter. Es war ein Kind aus der Nachbarschaft, der wie der Junge die gleiche Schule besuchte. Er gestand, die Sachen genommen zu haben. Erst die Unterhose, um zu schauen, ob er die gleiche Konfektionsgröße wie der bestohlene Junge hatte. Als er sich dessen vergewisserte, nutzte er die Gelegenheit, als der andere Schüler bei der Massage war und öffnete den Spind. Mit den Kondomen, die sich noch im Spind befanden, wollte er allerdings nichts zu tun haben.

Als seine Mutter dann die Sachen bei den Jungen fand, wollte sie erst ihren Augen nicht trauen, denn ihr Sohn ein Dieb, das wollte sie nicht glauben. Sie nahm die Kleidungsstücke ab, reinigte sie und drückte sie dem kleinen Übeltäter in die Hand. Er solle sie persönlich abgeben und sich entschuldigen. Als er dieses jedoch nicht getan hatte, wie man ihm geheißen, sondern nur an die Haustür hing, nahm die Frau all ihren Mut zusammen und trat an der Seite ihres Kindes den schweren Gang an.

Warum hatte der Junge gestohlen? Er wollte nichts Unrechtes tun, wollte eigentlich auch nur dazugehören. Er war genauso ein begeisterter Sportler wie der der andere Junge, nur konnte ihm seine alleinerziehende Mutter ihm niemals den Wunsch nach Markenware oder toller Sportausrüstung erfüllen. Aus diesem Grund nahm er sich das, was man ihm vorenthalten hatte. Falsch, wie er einsah und sich für dieses Fehlverhalten sehr schämte. Er konnte weder dem anderen Jungen, noch dessen Eltern in die Augen schauen. Von einer Anzeige sahen die Geschädigten ab und der Vater des bestohlenen Jungen bewies ein großes Herz, in dem er sich bereit erklärte, mit dem Sponsor seines Sohnes zu reden und zu versuchen, etwas für den anderen Jungen zu erreichen.

Eine Geschichte mit Happy End? Der Konsumdruck auf unsere Jugend ist stark, wer dazu gehören will, muss sich diesem Markenwahn unterwerfen. Wer das nicht kann, der geht unter. Kinder können grausam sein, sie lassen die Anderen spüren, dass ihre Sachen von Kick, Zeeman oder sonstigen Discountern sind. Der Spruch, den dritten Streifen für deine Turnschuhe bekommst du wohl zu Weihnachten geschenkt, gehört da noch zu den harmlosten Bemerkungen. Schnell werden die Rufe nach der Schuluniform laut, aber damit wäre das Problem nur auf den Nachmittag verschoben. Aber es bleibt wie es ist, denn wir leben in einer Zweiklassengesellschaft. Die einen, die sich alles erlauben können, die mit dem Geld um sich werfen und die anderen, die jeden Monaten rechnen müssen, um ja über die Runden zu kommen. Es wird sich nichts ändern, die Schere wird noch weiter auseinander gehen und so mancher wird zum Außenseiter, weil seine Eltern nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, um jeden Trend mitzugehen.

Was ist aus dem Jungen geworden? Ich kann es nicht sagen, aber ich hoffe, er hat eingesehen, dass der Weg, den er gegangen ist, nicht der richtige gewesen ist.